Netzwerk Recherche: Wirtschaftsprüfer statt Investigativjournalisten

Das Netzwerk Recherche benötigt dringend einen investigativen Rechercheur in eigener Sache. Wie konnte es passieren, dass rund 75.000 Euro Fördergelder der Bundeszentrale für Politische Bildung in den vier letzten Jahren nicht korrekt verbucht worden waren? Welche Rolle spielte der Vorsitzende des Vereins bei diesen "Unregelmäßigkeiten"? Und warum schauten ihm seine Vorstands-Kollegen, darunter Enthüller wie Hans Leyendecker von der Süddeutschen, nicht auf die Finger?

Ende einer Amtszeit
Fest steht, dass die seltsamen Vorgänge dem Netzwerk die Tagung zum zehnjährige Jubiläum in Hamburg verdarben und zugleich die Amtszeit von Ober-Netzwerker Thomas Leif beendeten. Manche sagen, der Chefreporter des Südwestrundfunks sei von seinen Vorstandskollegen aus dem Amt gedrängt worden. Leif selbst erklärte, nicht zurückgetreten zu sein, sondern sein Amt nach zehn Jahren selbst zur Verfügung gestellt zu haben.

Wie auch immer. Die Umstände, die man in einem zuerst online und dann in einer überarbeiteten Print-Version veröffentlichten taz-Bericht eines NR-Mitglieds nachlesen kann, klingen wenig schmeichelhaft für "einen der integersten Journalistenvereine Deutschlands" (wunderbare Steigerungsform in der Süddeutschen Zeitung), der personell so etwas die erste deutsche Recherche-Liga verkörpert. Vor allem Leif, dem in der Branche der Ruf eines eitlen Selbstdarstellers anhängt, schlägt nun reichlich Häme aus der zweiten Reihe entgegen.

Eine ausgewogenere Erklärung lieferte DuMont-Medienautorin Ulrike Simon. Leif, so schrieb sie unter anderem in der FR, habe "viel zu viele Vereinsaktivitäten an sich gezogen und sich damit profiliert, was zwar manchen genervt, aber allen anderen Ehrenamtlichen viel Arbeit abgenommen hat. Am Ende blickte keiner mehr durch, die Frage der Verantwortung blieb."

Defizit und Rücklagen
Der Sündenfall: Unter der Ägide des 52-Jährigen hat das Netzwerk nach eigenen Angaben in den Jahren 2007 bis 2010 überhöhte Bpb-Zuschüsse eingesammelt. Gedacht waren sie laut einer Pressemitteilung als Defizitfinanzierung für die alljährlichen Tagungen, zu denen der illustre Journalisten-Klub auch schon einmal Gerhard Schröder oder Johannes Rau begrüßen konnte. Doch das Netzwerk ist eigentlich gar nicht so hilfsbedürftig: Fast 400.000 Euro an Rücklagen hat der Verein angehäuft.

Erst auf einer Sitzung am 28. Mai habe der "irgendwie übermächtige" (Schatzmeisterin Tina Groll, Zeit Online, zitiert bei Spiegelkritik) Leif seine übrigen Vorstands-Kollegen über die Zuschüsse der spendablen Bundeseinrichtung ins Bild gesetzt, heißt es nun; das zu viel gezahlte Geld sei rücküberwiesen worden. Hinweise auf "persönliche Bereicherungen durch ein Mitglied des Vereins" seien aber nicht gefunden worden.

Wirtschaftsprüfer, keine Investigativjournallisten, sollen den peinlichen Fall bis zum Jahresende endgültig aufklären. Auf dass sich das Netzwerk Recherche beim nächsten Mal nicht selbst mit dem Preis Verschlossene Auster auszeichnen muss, der in diesem Jahr an die Atom-Industrie ging.