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Wikileaks-Dokumente, die geleakt werden, und andere groteske Begleitumstände

Bisher hat noch jede große Wikileaks-Enthüllung, seien es die Afghanistan oder die Irak War Logs, die Regeln des Journalismus' und das Verhältnis zwischen alten und neuen Medien ein Stück neu formatiert. So war es auch bei Cable Gate, dem nunmehr dritten im Verbund mit zahlreichen etablierten internationalen Medien publizierten Leak - allerdings unter grotesken Begleitumständen.

Es geht um die Veröffentlichung von (nach Wikileaks-Angaben) 251.287 Depeschen, darunter 15.652 streng geheimen, die US-Botschaften im Zeitraum von 1966 (!) bis zum Februar 2010 nach Washington "gekabelt" haben. Über den News-Wert dieses Konvoluts kann man sich streiten - der Peinlichkeitsgrad ist indes unbestritten.

Guardian leckte zur New York Times
Aus medialer Sicht neu ist, dass die New York Times das Material vorab sichten konnte, obwohl Wikileaks die US-Zeitung zuletzt geschnitten hatte. Den Zugang verdankte die Times nach eigenen Angaben "einer Quelle, die auf Anonymität Wert legt" (Anmerkung der Redaktion).

Ein Leak für Wikileaks-Dokumente - das ist doch mal was Neues. Doch die Angelegenheit hat noch einen speziellen Kick: Es soll nämlich bei einem anderen großen Verlagsmedium geleckt haben, dem britischen Guardian. Der gab das Material wohl uneigennützig weiter, das er von Wikileaks im August erhalten hatte - ebenso wie Der Spiegel, die spanische El Pais und die französische Le Monde.

Ein Kiosk in Basel
Nicht weniger grotesk sind die Umstände, unter denen der Spiegel die Deadline - Sonntag, 22.30 Uhr - verletzte. Aufgrund eines Lieferanten-Fehlers lag die aktuelle Ausgabe des Heftes am Bahnhof Basel bereits nachmittags im Kioskregal. Der Pribatsender Radio Basel war dann nach eigenen Angaben als erstes Medium der Welt im Besitz der neuen Ausgabe des Nachrichtenmagazins" - tätsächlich - und publizierte Auszüge daraus.

Was lernt uns das? Als Journalisten sollten wir weniger googeln, sondern häufiger im Zeitungsladen recherchieren. Und haben wir nicht schon immer gesagt, dass Deadlines unter Echtzeit-Bedingungen des Internets sinnlos sind? Dass die Wikileaks-Deadline aber an einem Zeitungskiosk das Zeitliche segnete, ist ein echter Treppenwitz. Übrigens wurde eine Wikileaks-Deadline nicht zum ersten Mal gebrochen: Bei den Irak War Logs war es der arabische News-Sender Al Dschasira, der unbedingt Erster sein wollte.

Vorab ans US-Außenministerium
Auch die Dritte durch Cable Gate produzierte Novität ist nicht ohne eigentümliches Geschmäckle. Hatte Wikileaks die New York Times zuvor noch kritisiert, weil sie ihre Veröffentlichungen vorab mit dem Pentagon abstimmte, gab die Organisation diesmal ihre Materialen aus eigenen Stücken an das US-Außenministerium - und twitterte dann genüsslich darüber, wie die USA ihre Partnerländer vorab über das peinliche Datenleck unterrichten musste. Schließlich teilte auch Ministeriumssprecher Philip Crowley offiziell "im Nachrichtendienst Twitter" (so der Nachrichtendienst dpa) mit, dass die USA neben Deutschland auch Frankreich, Großbritannien, Afghanistan, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate vorab gewarnt hätten.

"WikiLeaks-Erfinder Julian Assange, der persönlich schwierige Monate hinter sich hatte, dürfte sein globales Schachspiel genossen haben", schreibt das Online-Magazin Telepolis. Der Mann sollte allerdings aufpassen, dass er sich nicht zu sehr im Fleisch der USA festbeißt.
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