Wenn das kein Rekord ist: Nur 54 Tage hat George Entwistle als Generaldirektor der britischen BBC gewirkt. Am Wochenende musste der 50-Jährige schon wieder zurücktreten. Entwistle übernahm damit die Verantwortung für einen Bericht des investigativen Magazins Newsnight auf BBC 2, das den Schatzmeister der Konservativen Partei, Lord Alistair McAlpine, fälschlicherweise des Kindesmissbrauchs beschuldigt hatte. Ausgerechnet Missbrauch.
Ein echter Skandal
Ein anderer Missbrauchs-Skandal, ein echter, kein falscher, hatte die BBC erst vor wenigen Tagen erschüttet, als publik wurde, dass der im Oktober 2011 verstorbene Fernsehmoderator Jimmy Savile sich an Kindern vergangen hatte. Das war zwar vor Entwistles Zeit, aber der neue BBC-General zeigte nicht einmal posthum ein Interesse an der Aufarbeitung der Affäre, die nichts Gutes über die Kultur innerhalb des Hauses aussagt.
Während die BBC Savile nach dessen Tod noch eine Eloge hinterhersendete, verhinderte Entwistle die Ausstrahlung einer hauseigenen Dokumentation über den Präsentator und Produzenten von Jugendprogrammen, der sich als unkonventioneller Kopf und Wohltäter inszenierte, dessen Doppelleben im Sender aber als offenes Geheimnis galt. Die Dokumentation hätte ausgerechnet in der Newsnight gesendet werden sollen.
Eine Verwechselung
Der falsche Bericht über den Tory-Politiker, über den Entwistle nun stolperte, gründeten nach Angaben der BBC auf Anschuldigungen eines Missbrauchs-Opfers; diese beruhten jedoch auf einer Verwechselung. Anstatt sich sofort für den Fehler zu entschuldigen, erklärte Entwistle zunächst in einem Interview, er habe von dem Bericht vor dessen Austrahlung nichts gewusst. Seltsam, denn als Generaldirektor ist er auch Chefredakteur der BBC.
Als Entwistle sich schließlich zum Rücktritt entschlossen hatte, nannte der 50-Jährige diesen Schritt "ehrenhaft". Bei Lord Patten, Vorsitzender der BBC-Stiftung, klang das anders. Er bezeichnete die Affäre als "unakzeptablen, schäbigen Journalismus”, bewilligte Entwistle aber dennoch ein weiteres Jahr Gehaltszahlung. Auch Patten gilt in seiner Position als angeschlagen.
Doppelte Niederlage für den Journalismus
In Großbritannien wird die Diskussion über Medien-Ethik also nicht verstummen. Ganz im Gegenteil. Nach dem Abhör-Skandal um Rupert Murdochs Revolverblatt News of the World, das eingestellt wurde, ist nun ausgerechnet die ehrwürdige BBC betroffen, jene Institution also, die als Hüterin der journalistischen Wahrheit galt.
Der Schaden dürfte - auch wenn die englische Presse sich zunächst in Häme über den öffentlich finanzierten Konkurrenten übt - kaum ermesslich sein und auf die gesamte Branche zurückfallen. Die renommierte Newsnight musste - noch auf Anordnung von Entwistle - sämtliche laufenden Investigativprojekte aussetzen. Gute Nachrichten für alle Übeltäter, die echten, nicht die falschen, und eine doppelte Niederlage für den Journalismus.