15 Millionen Bücher aus fünf großen amerikanischen und englischen Bibliotheken will die Suchmaschine
Google bis 2015 digitalisieren - und damit als Wissensfundus über das Internet recherchierbar machen. Damit ist aus einem ursprünglich rein kommerziellen Projekt - Leseproben aus Büchern bereitzustellen, die der Internet-Sucher dann möglichst kaufen soll - unversehens ein kulturelles geworden. Eines, das mittlerweile eine eigene kulturpolitische Dynamik entwickelt.
Es begann damit, dass der Leiter der
französischen Nationalbibliothek in Paris, Jean-Noel Jeanneney, in einem Zeitungs-Essay vor der verengten Perspektive warnte, die ein rein angloamerikanischer Bücherkanon vermittle. Jeanneney hielt ein für alle Franzosen verständliches Beispiel parat: Hätte er sich vor 16 Jahren als Vorsitzender des Jubiläumskomitees der Französische Revolution nur auf die in den Universitätsbibliotheken von Stanford, Michigan, Harvard und Oxford sowie in der
New York Public Library verfügbaren Werke gestützt, dann wäre aus dem Fest eher eine Trauerfeier geworden, so barbarisch erschienen in den englischsprachigen Quellen die Ereignisse von 1789. Allerdings reklamierte etwa Harvard für sich, dass mehr als die Hälfte der gesammelten Bände nicht englischsprachig seien.
Jeanneneys Aufruf, dem Projekt
Google Print eine eigenständige europäische Online-Bibliothek entgegenzusetzen, nannte die (o ja: angloamerikanische) Nachrichtenagentur
Reuters einen
"War cry". Tatsächlich schwingt hier - kurz nach dem amerikanische-europäischen Zerwürfnis über den Irakkrieg, das sich am Stil und Machtanspruch der Superpower USA entzündete - wieder die Zuschreibung vom
"alten Europa" mit, nur dass es diesmal wirklich um
"alte" Güter geht, um Bildung und Geschichte nämlich. Von dem gerne hemdsärmelig auftretenden Texaner Bush heißt es ja, er sei nicht besonders gebildet.
Umso mehr fühlen sich die Franzosen herausgefordert, und zwar als Europäer. Denn der Pariser Bibliotheksdirektor - die
Bibliotheque Nationale war ein Prestigeobjekt der Mitterand-Ära - vertritt selbst die Meinung, dass europäische Kleinstaaterei nichts gegen die Google-Bibliothek bewirken kann. Von Staatspräsident Jacques Chirac hat Jeanneney offiziell den Auftrag erhalten, eine gesamteuropäische Initiative abzustimmen. Immerhin gibt es mit der
European Library, die aus dem EU-finanzierten
TEL-Projekt entstanden ist, bereits eine existierende Struktur, die den Zugriff auf Teilbestände europäischer Nationalbibliotheken, darunter auch der deutschen, ermöglicht.
Auch das ist eine Stilfrage. Denn während sich in Europa nun öffentliche Institutionen in Bewegung setzen und politische Konsultationen in Gang gebracht werden müssen, um über den Bau einer Netz-Bibliothek zu beraten, wird dies in Amerika einfach gemacht - von einem kommerziellen Unternehmen. Und so sind es aus amerikanischer Sicht vor allem Copyright-bezogene Anfechtungen von Verlagen, die das Google-Projekt einschränken, keine potentiellen Konkurrenten aus der alten Welt, die zudem mit vielen fremden Zungen sprechen.
80.000 Werke hat die Pariser Nationalbibliothek selbst schon digitalisiert. 200 Millionen Dollar könnte das europäische Projekt nach französischen Schätzungen verschlingen. Nicht ohne Charme - nennen wir es masochistischen Reiz - ist das derzeit kolportierte Gerücht, dass als Geldgeber neben den öffentlichen Händen auch eine private, gar amerikanische Firma in Frage käme. Die Rede ist, man ahnt es, vom Google-Konkurrenten
Microsoft, zu dessen Bannerträger Bill Gates der Franzose Chirac gute Kontakte pflegt.