Eine Frau hängt in einem US-Krankenhaus an den Lebenserhaltungs-Apparaturen; auf den immer wieder gezeigten gleichen Filmaufnahmen scheint sie zu lächeln. Schnitt. Präsident George Bush kommt ins Bild. Er bricht seine Ferien ab und besteigt ein Regierungs-Flugzeug, um in Washington ein Gesetz zu unterschreiben. Gegen Sterbehilfe, gegen die Abschaltung der künstlichen Ernährung bei der Wachkoma-Patientin Terri Schiavo.
Sollten wir ihr nicht den Tod wünschen?
Man sieht diese Bilder und glaubt, einen mokanten Unterton in deutschen Kommentatoren-Stimmen zu hören. Wenn Bush, George
"Dabbelju", wie gerne mit hochgezogenen Mundwinkeln betont wird, zum Kreuzzug bläst, diesmal nicht gegen die Iraker, sondern für das von Gott geschenkte Leben einer Amerikanerin - sollten wir dann nicht der armen Frau am sehnlichsten das Gegenteil wünschen, den Tod? Wäre das nicht die Erlösung für sie?
Ob Terri Schiavo wirklich erlöst werden will, können wir vor den Fernsehgeräten unmöglich wissen; wir haben auch keine Ahnung, ob sie das, was mit ihr geschieht, überhaupt wahrnimmt. Offenbar wissen die Fernsehsender nicht einmal, wie die Videobilder von der irgendwie lächelnden, irgendwie abwesenden Frau genau zustande kamen; sie wurden heimlich aufgenommen, heißt es.
Was wir wissen ist, dass sich Ehemann und Eltern seit Jahren erbitert darüber streiten, was das beste für die 41-Jährige wäre, und einander dabei unlautere Motive unterstellen. Wir wissen auch, dass ein Bundesrichter den Eilantrag der Eltern, auf der Basis eines mit Bushs Unterschrift eiligst herbeigeführten Kongressbeschlusses eine Wiederaufnahme des Verfahrens in Florida zu erwirken, abgewiesen hat.
Ein Schicksal, kein Einzelfall
Wer also wollte sagen, was am besten für Terri Schiavo wäre? Tatsächlich ist ihr bedauernswertes, aber in den USA zum Exempel stilisiertes Schicksal kein Einzelfall. Es stellt vielmehr ethische Grundsatz-Fragen, die von der Gesellschaft geklärt werden müssen.
Vor allem illustriert der Fall Schiavo, in dem die Verwandten darüber streiten, was die Patientin
"selbst gewollt hätte", die Notwendigkeit klarer, abgesicherter Patientenverfügungen, in Deutschland der einzige Weg zu einer legalen Form von Sterbehilfe.
Hätte sich der Fall hierzulande ereignet und hätte Terri Schiavo eine solche Verfügung bei klarem Bewusstsein abgegeben, so wäre eine passive Sterbehilfe möglich gewesen. Doch da sie dies nicht getan hat, wären die Ärzte dazu verpflichtet gewesen, sie am Leben zu erhalten - selbst wenn sie dies nicht mehr bewusst gespürt hätte.
Druck der religiösen Rechten
Dass die religiöse Rechte in den USA den Fall Schiavo als emotionierendes Instrument in ihrem Kampf gegen jegliche Form von Sterbehilfe betrachtet, ist erwiesen. Die christlichen Fundamentalisten fordern von Bush, den sie deshalb gewählt haben, in ihrem Sinne Politik zu machen. Der Präsident ist ins Flugzeug gestiegen. Aber genügt das, um für oder gegen Sterbehilfe zu argumentieren?
Nicht nur tief gläubigen Menschen ist bei dem Gedanken unwohl, dass aus der passiven eine aktive Sterbehilfe werden könnte, die über das Abschalten von Apparaten hinausgeht. In den USA steht die Situation auf der Kippe: demnächst muss das Oberste Gericht einen Fall aus Oregon entscheiden. Auch in Deutschland ist das Thema nicht abgehakt: jüngst debattierte der Bundestag über die Tragweite von Patientenverfügungen.
Dieses komplizierte Feld zu beackern, ist eine noble Aufgabe für die Medien. Das menschliche Leben ist ein kostbares Gut. Dass sich Urteile in einer solchen Gewissenfrage aber von der Antipathie oder Sympathie zur Person eines Präsidenten leiten lassen, sollten aufgeklärte Zeitgenossen nicht zulassen - schon gar nicht die Medien, die den Anspruch erheben, aufklärend zu wirken.