Oliver Gehrs: Der Spiegel-Komplex. Wie Stefan Aust das Blatt für sich wendete
Oliver Gehrs: Der Spiegel-Komplex. Wie Stefan Aust das Blatt für sich wendete. 336 Seiten, Droemer Knaur 2005, 19,90 Euro
Wer den Spiegel verehrt oder auch hasst (solche Gefühlsmenschen sterben einfach nicht aus), wer Journalismus nicht als mehr oder weniger objektive Informationsleistung, sondern als Entäußerung von Autoren-Subjekten versteht (das tun wahrscheinlich alle Journalisten, würden wir sonst so verbissen mit dem Redakteur um jedes Wort unserer Story ringen?), der muss wohl zu Oliver Gehrs' Biographie von Stefan Aust greifen. Der Medienjournalist beschreibt das Objekt seiner Porträt-Begierde anekdotisch-psychologisierend als pseudo-linken Pferdenarren, der eine tiefe Bewunderung für mächtige Unternehmer-Typen US-amerikanischer Prägung hegt, dessen eigenem Streben nach Größe aber "das Bedenkenträgertum der anderen Spiegel-Mitarbeiter im Weg" stehe, weshalb Austs "ständige Hinwendung zu den Männern mit den unbegrenzten Möglichkeiten fast schon masochistische Züge" trage.
Vielleicht trägt auch Gehrs' Hinwendung zu Aust masochistische Züge. Vielleicht war seine eigene Zeit beim Spiegel - "hat selbst von 1999 bis 2001 unter Stefan Aust gearbeitet", heißt es (Hervorhebung durch die Netzpresse) in der taz, die einen Vorabdruck veröffentlichte - ja richtig schlimm. Fakt ist, dass keiner das einstige "Sturmgeschütz der Demokratie" derzeit so aufmerksam und dabei mit Spiegel-typischen Stilmitteln armiert beobachtet wie Gehrs - genauer gesagt, er beobachtet die handelnden Personen, denn Gehrs setzt eben wie die meisten Journalisten auf Personalisierung, um Zustände zu beschreiben.
So heißt es über den Berliner Spiegel-Büroleiter Gabor Steingart, dessen Gesicht schon im Gewimmel der Spiegel-Talente "immer noch eine Spur mokanter wirkte als das der anderen", Aust schätze an ihm "wohl nicht nur dessen Fähigkeit, in der Konferenz schlagfertig die Kollegen aus dem Feuilleton bloßzustellen". Ein Satz wie - klar, wie aus dem Spiegel. Dass Steingart nicht Austs Stellvertreter wurde, lässt Gehrs von einem - ebenfalls Spiegel-typisch - namenlosen Insider damit begründen, dass Steingart Aust zu selbstbewusst sei und dass ein selbstbewusster Mann auch nicht neben Aust arbeiten wolle.
In drei Gruppen sortiert Gehrs die Spiegel-Redakteure ein. Diejenigen, die klagen, der Spiegel sei unpolitisch geworden und lasse sich die Themen von der Bild-Zeitung diktieren; diejenigen, die sich an flotter Schreibe delektieren und es froh mit Enzensberger halten, der schon 1957 diagnostiziert hatte, der Spiegel habe gar keine eigene Position; und diejenigen, "die gar nichts sagen. Die sich schon deshalb ganz wohl fühlen, weil das Gehalt hoch ist, reichlich Spesen gemacht werden dürfen, der Kaffee aufs Zimmer gebracht wird und es im Bekanntenkreis noch immer am besten ankommt, wenn man beim Spiegel ist". Von solch lässigen Charakterisierungen ist Gehrs' Buch gespickt, sie sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er selbst es nicht mit dieser letzten und nach seinen Angaben größten Gruppe der Mitarbeiterschaft hält.
Gehrs Diagnose über das Nachrichtenmagazin unter Aust: "Im Spiegel selbst sind die kritischen Stimmen verstummt, er ist innen hohl. Aber drum herum werden die Kollegen plötzlich frech." Kollegen wie Gehrs selbst, so kann man das wohl verstehen, die außerhalb des Spiegels jenen Journalismus machen wollen, für den der Spiegel einmal stand. Schuld an der ganzen Malaise ist für Gehrs jedenfalls nur er: Stefan Aust.
Update: Nicht vom Spiegel, sondern von Focus TV erhielt das Buch eine Unterlassungserklärung. Gehrs dürfe nicht länger behaupten, dass auch dort Beiträge des "Fernsehfälschers" Michael Born ausgestrahlt wurden, teilte der Sender mit.
Wer den Spiegel verehrt oder auch hasst (solche Gefühlsmenschen sterben einfach nicht aus), wer Journalismus nicht als mehr oder weniger objektive Informationsleistung, sondern als Entäußerung von Autoren-Subjekten versteht (das tun wahrscheinlich alle Journalisten, würden wir sonst so verbissen mit dem Redakteur um jedes Wort unserer Story ringen?), der muss wohl zu Oliver Gehrs' Biographie von Stefan Aust greifen. Der Medienjournalist beschreibt das Objekt seiner Porträt-Begierde anekdotisch-psychologisierend als pseudo-linken Pferdenarren, der eine tiefe Bewunderung für mächtige Unternehmer-Typen US-amerikanischer Prägung hegt, dessen eigenem Streben nach Größe aber "das Bedenkenträgertum der anderen Spiegel-Mitarbeiter im Weg" stehe, weshalb Austs "ständige Hinwendung zu den Männern mit den unbegrenzten Möglichkeiten fast schon masochistische Züge" trage.
Vielleicht trägt auch Gehrs' Hinwendung zu Aust masochistische Züge. Vielleicht war seine eigene Zeit beim Spiegel - "hat selbst von 1999 bis 2001 unter Stefan Aust gearbeitet", heißt es (Hervorhebung durch die Netzpresse) in der taz, die einen Vorabdruck veröffentlichte - ja richtig schlimm. Fakt ist, dass keiner das einstige "Sturmgeschütz der Demokratie" derzeit so aufmerksam und dabei mit Spiegel-typischen Stilmitteln armiert beobachtet wie Gehrs - genauer gesagt, er beobachtet die handelnden Personen, denn Gehrs setzt eben wie die meisten Journalisten auf Personalisierung, um Zustände zu beschreiben.
So heißt es über den Berliner Spiegel-Büroleiter Gabor Steingart, dessen Gesicht schon im Gewimmel der Spiegel-Talente "immer noch eine Spur mokanter wirkte als das der anderen", Aust schätze an ihm "wohl nicht nur dessen Fähigkeit, in der Konferenz schlagfertig die Kollegen aus dem Feuilleton bloßzustellen". Ein Satz wie - klar, wie aus dem Spiegel. Dass Steingart nicht Austs Stellvertreter wurde, lässt Gehrs von einem - ebenfalls Spiegel-typisch - namenlosen Insider damit begründen, dass Steingart Aust zu selbstbewusst sei und dass ein selbstbewusster Mann auch nicht neben Aust arbeiten wolle.
In drei Gruppen sortiert Gehrs die Spiegel-Redakteure ein. Diejenigen, die klagen, der Spiegel sei unpolitisch geworden und lasse sich die Themen von der Bild-Zeitung diktieren; diejenigen, die sich an flotter Schreibe delektieren und es froh mit Enzensberger halten, der schon 1957 diagnostiziert hatte, der Spiegel habe gar keine eigene Position; und diejenigen, "die gar nichts sagen. Die sich schon deshalb ganz wohl fühlen, weil das Gehalt hoch ist, reichlich Spesen gemacht werden dürfen, der Kaffee aufs Zimmer gebracht wird und es im Bekanntenkreis noch immer am besten ankommt, wenn man beim Spiegel ist". Von solch lässigen Charakterisierungen ist Gehrs' Buch gespickt, sie sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er selbst es nicht mit dieser letzten und nach seinen Angaben größten Gruppe der Mitarbeiterschaft hält.
Gehrs Diagnose über das Nachrichtenmagazin unter Aust: "Im Spiegel selbst sind die kritischen Stimmen verstummt, er ist innen hohl. Aber drum herum werden die Kollegen plötzlich frech." Kollegen wie Gehrs selbst, so kann man das wohl verstehen, die außerhalb des Spiegels jenen Journalismus machen wollen, für den der Spiegel einmal stand. Schuld an der ganzen Malaise ist für Gehrs jedenfalls nur er: Stefan Aust.
Update: Nicht vom Spiegel, sondern von Focus TV erhielt das Buch eine Unterlassungserklärung. Gehrs dürfe nicht länger behaupten, dass auch dort Beiträge des "Fernsehfälschers" Michael Born ausgestrahlt wurden, teilte der Sender mit.
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Zuletzt bearbeitet 19.03.2005 14:23 Uhr