Am 25. Juli bezeichnete der freie Journalist Jens Weinreich den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, Theo Zwanziger, im Kommentar zu einem Beitrag des Fußball-Blogs direkter-freistoss.de als "unglaublichen Demagogen". Eine Bewertung, über die sich durchaus streiten lässt. Unbestreitbar ist allerdings, dass Zwanziger mit einer Einstweiligen Verfügung gegen Weinreichs Meinungsäußerung in zwei Gerichtsinstanzen scheiterte. Das hat den Zwist allerdings nicht beendet. Im Gegenteil: Inzwischen hat der Journalist, bis zum letzten Frühjahr noch Sportchef der Berliner Zeitung, selbst eine einstweilige Verfügung gegen Behauptungen einer Pressemitteilung des DFB erwirkt, und der Verband will nun zurückklagen.
Neue Öffentlichkeit
Die Angelegenheit ließe sich, je länger sie dauert, als Privatkrieg zwischen dem journalistischen Einzelkämpfer Weinreich, der seit Jahren die Mächtigen der Sportpolitik mit einer Mischung aus Akribie und Zwanghaftigkeit verfolgt, und dem oft selbstherrlich agierenden Fußball-Bund abhaken. Doch sie ist auch ein Lehrstück dafür, wie ein Journalist - also ein Protagonist der alten Medien - in der Blogosphäre eine neue Öffentlichkeit nutzen kann.
Denn Weinreich hat den Fall nicht nur in seinem eigenen Weblog mit beinahe täglichen Postings samt Zitaten aus diversen Schriftsätzen dokumentiert. Der Streit zwischen dem freien Journalisten und dem Verbands-Goliath wird auch in anderen Blogs aufmerksam verfolgt. Sogar der Alpha-Blogger Stefan Niggemeier, vor einem Jahr als "Journalist des Jahres" ausgezeichnet, berichtet regelmäßig über den Fall - mit klaren Präferenzen. Niggemeier verstieg sich sogar zu der Annahme, dass es Zwanziger bei seinen sozialen Engagements "gar nicht um die Sache geht, sondern darum, sich mit der Sache zu schmücken".
Machtlose Spin-Doktoren
Gegen diese Blogger-Phalanx und den PR-Gau, den ihr Präsident dort erleidet, zeigen sich die Oldschool-Spin-Doktoren des DFB überraschend machtlos. Eine von Kommunikationsdirektor Harald Stenger verfasste (und mittlerweile geänderten) Pressemitteilung ("Zwanziger-Diffamierung missbilligt") samt Anschreiben von Generalsekretär Wolfgang Niersbach - beides ehemalige Sportjournalisten - zerpflückte Weinreich in seinem eigenen Blog nicht ohne Pathos als Lügengebilde, mit dem der DFB ihn "verleumden" wolle.
Besonders peinlich: Der Verband, der mit der an Journalisten sowie Politiker, Funktionäre und andere Partner versandten Erklärung offenbar eine breite Peergroup von Multiplikatoren und Entscheidern auf seine Linie bringen wollte, verschwieg die beiden gerichtlichen Niederlagen und erweckte statt dessen den Eindruck, selbst juristischer Sieger der Auseinandersetzung zu sein. Dabei wollten sowohl Land- als auch Kammergericht Berlin Zwanzigers Argumentation, mit dem Demagogen-Vorwurf werde er "in die Nähe des Tatbestands der Volksverhetzung" gerückt, nicht folgen.
Falsch eingeschätzt
Es zeigt sich aber auch, dass die Öffentlichkeitsarbeiter des DFB die Wirkungsweise der Blogs nicht richtig einschätzen können. So schrieb Niersbach in dem Anschreiben zur bewussten Presseerklärung geringschätzig von "mehr oder weniger anonymen" Internetblogs (natürlich auch dokumentiert bei Weinreich). Andererseits war dem DFB aber ein Kommentar in einem solchen Internetblog nicht obskur genug, um darauf nicht doch mit aller Macht reagieren zu müssen.
Weinreich selbst schreibt, dem DFB gehe es darum, "die Wahrheit zu beugen, mich zu diffamieren, meine Integrität, Kompetenz und Professionalität als Journalist in Frage zu stellen und damit meine wirtschaftliche Existenz als freier Journalist zu gefährden". Gäbe es einen solchen Plan, er wäre wohl misslungen. Denn die Blogosphäre sympathisiert gern mit einsamen Wölfen. Davon zeugen auch die sprunghaft angestiegenen Kommentare in Weinreichs Blog.
Natürlich repräsentiert diese Blogosphäre auch nur einen Ausschnitt der Öffentlichkeit - aber einen hoch vibranten, in dem jedenfalls schneller, polemischer und schärfer geschossen wird als in den alten Medien, die der Streit inzwischen auch erreicht hat. So publizierte die Süddeutsche Zeitung, für die Weinreich selbst arbeitet, online ein langes, bohrendes Interview mit Zwanziger. Auch die von Weinreich erwirkte Einstweilige Verfügung, auf die der DFB nun mit seiner bereits früher angedrohten Klage reagieren will, war dem Blatt eine Meldung wert.
Ob alte oder neue Medien: Der Fußball-Bund kommt in diesem Spiel schlecht weg.
(Red. Hinweis: Der Netzpresse-Autor hat selbst für Jens Weinreich bei der Berliner Zeitung Artikel geschrieben.)