Am 1. Juni tritt der viel diskutierte 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag in Kraft, der den Internet-Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Anstalten erstmals Grenzen setzt. Wie eng diese Grenzen in der Praxis gezogen werden, das zeichnet sich nun ab, da die Anstalten ihre Angebote gesichtet haben und den Rundfunkräten "Telemedienkonzepte" über die publizistische Ausrichtung ihrer Online-Angebote zur Genehmigung vorlegen, um die neue Rechtslage umzusetzen.
ZDF will 80 Prozent löschen
Allein das ZDF wird nach einem Bericht des epd rund 80 Prozent seiner Online-Inhalte löschen müssen. Darunter befinden sich 4.000 Videos aus der Mediathek, deren Aufbau einer der Hauptkritikpunkte der privaten Medienwirtschaft war. Das neue Rundfunkgesetz sieht nun vor, dass die meisten Videos nur noch sieben Tage lang im Netz stehen dürfen, Großereignisse und Bundesliga-Fußball sogar nur 24 Stunden - eine Benutzer-unfreundliche und dennoch von der Rundfunkpolitik gewollte Beschneidung, die von der Intention geprägt ist, die Wettbewerbsposition der öffentlich-rechtlichen Mediatheken zu beschränken.
Doch nicht nur Töne und bewegte Bilder werden von den öffentlich-rechtlichen Websites verschwinden. Nachdem sich die Zeitungsverleger weitgehend mit ihrer Sichtweise durchgesetzt haben, ARD und ZDF dürften im Internet keine gebührenfinanzierte "elektronische Presse" machen, wird das ZDF nicht weniger als 46.800 Text-Dokumente von seiner Homepage entfernen; gelöscht werden zudem 28.000 Texte von der Nachrichten-Website heute.de und 18.700 Texte von sport.zdf.de.
Dass dort auch viel öffentlich-rechtlicher Wildwuchs herrschte, zeigt der Ausspruch von ZDF-Pressesprecher Alexander Stock, "dass es uns nicht darum geht, alles Mögliche im Netz vorzuhalten, nur weil es ohne Aufwand möglich ist".
Der WDR und die Negativliste
Auch die größte ARD-Anstalt, der WDR, hat nach eigenen Angaben bereits "Tausende von Seiten aus dem Netz genommen". Zudem sollen zahlreiche Zusatzangebote wie die Partnerbörse 1LIVE Liebesalarm, aber auch die Urteilsdatenbank des ARD Ratgebers Recht verschwinden. Der WDR will damit eine Negativliste umsetzen, die ebenfalls mit dem neuen Rundfunkgesetz in Kraft tritt.
Die neue Rechtslage erfordert von den Anstalten in Zukunft eine besondere Lagerhaltung. Weil der Gesetzgeber nicht nur für den Abruf von Sendungen, sondern auch für sendungsbezogene Inhalte eine zeitlich befristete Publikation vorsieht, müssen alle Inhalte mit einer "Verweildauer" versehen werden. Nur für archivierte zeit- und kulturgeschichtliche Inhalte erlaubt das Gesetz eine unbefristete Vorhaltung. Über den publizistischen Wert der öffentlich-rechtlichen "Telemedien" entscheidet künftig ein Drei-Stufen-Test. Der soll, so heißt es beim WDR, bis Sommer 2010 abgeschlossen sein.
Neue Welle MeinWDRRadio.de
Die Kölner Anstalt demonstriert aber auch, wie sich die Beschränkungen durch das neue Rundfunkrecht Internet-gerecht umschiffen lassen. Weil der WDR ab 1. Juni nur noch drei Online-Radios bespielen darf, werden die Digital-Wellen WDR2 Klassik und 1LIVE Kunst nominell eingestellt, tatsächlich aber durch ein neues Web-Angebot namens MeinWDRRadio.de aufgefangen. Dort darf der Hörer dann WDR-Wortbeiträge mit seiner favorisierten Musikfarbe kombinieren.
Das Prinzip kennt man schon von privaten Musik-Diensten wie LastFM, die ihren Nutzern personalisierbare "Radio-Stationen" zur Verfügung stellen. Allerdings fehlt dem am 29. Mai startenden WDR-Angebot (bisher) eine vergleichbare Personalisierbarkeit. Der Hörer kann lediglich aus zwei Paketen wählen: Wortbeiträge entweder aus Wissenschaft oder aus Wirtschaft/Politik jeweils gebündelt mit klassischer Musik. In Zukunft sollen sich aber auf der Website alle sechs Hörfunkwellen des WDR mixen lassen.
Bisher war den Öffentlich-Rechtlichen daran gelegen, möglichst viele Hörfunk-Frequenzen mit eigenen Wellen zu besetzen. Darauf und auf entsprechende Begrenzungen durch das Rundfunkgesetz ist ein Internet-Dienst wie MeinWDRRadio.de nicht mehr angewiesen. Er surft auf einer neuen Welle.