Wenn die Vierte Gewalt der Skandalisierung erliegt

Der Journalismus trägt bei der Berichterstattung über Skandale und Krisensituationen nach Ansicht eines Mainzer Kommunikationswissenschaftlers wenig zur Aufklärung bei. Im Gegenteil: "Die Wahrheit geht während des Skandals in einer Welle krass übertriebener oder gänzlich falscher Darstellungen unter", behauptet der Publizistikprofessor und Buchautor ("Die Kunst der Skandalierung und die Illusion der Wahrheit") Hans Mathias Kepplinger, dessen Untersuchungen gerade in der Neuen Zürcher Zeitung vorgestellt wurde. Kepplinger entdeckte bei einer Analyse beispielhafter Fälle wie der Versenkung der "Brent Spar", dem Störfall bei Hoechst oder dem angeblich von Neonazis ermordeten Kind Joseph sowohl subjektive fachliche Wissensmängel als auch objektive Informationslücken. Diese Unsicherheiten werden mit der Herausbildung von "gruppen- und landesspezifischen Sichtweisen" kompensiert. Das nennt man dann wohl Mainstream-Journalismus. So gebe es bei jedem Skandal unter den Berichterstattern "wenige Wortführer, einige Mitläufer, viele Chronisten und kaum Skeptiker". Kepplinger spricht in drastischen Worten von einer "Einheitsfront der Skandalgläubigen" und entdeckt darin "totalitäre Züge". Distanzierte Analysen erschienen erst im Nachhinein in wenigen Qualitätszeitungen und würden von der Öffentlichkeit, die ohnehin schnell vergisst, kaum noch wahrgenommen. Der Wissenschaftler hängt diese Thesen an mehreren Fällen auf. So kritisiert er beispielsweise die BSE-Berichterstattung im vergangenen Jahr: In der Flut erschreckender Bilder sei die "alles entscheidende Frage" nicht gestellt worden: "Wie wahrscheinlich ist es, dass jemand an vCJK erkrankt, angesichts der Tatsache, dass weniger als 00,1 Prozent der getesteten Rinder BSE hatten und die Gefahr einer Übertragung auf Menschen sehr gering ist?" Kepplingers Antwort; "Es ist gefährlicher zu heiraten als Rindfleisch zu essen, weil man eher vom eigenen Lebenspartner ermordet wird, als dass man durch Rindfleisch ums Leben kommt." Gäbe es eine Produkthaftung für Skandalberichte, wären einige Medien "in kurzer Zeit konkursreif", glaubt Kepplinger. Solche Gedankenspiele führen freilich schnell zum entgegengesetzten Extrem - einem völlig zahnlosen Journalismus. Das ahnt auch der Mainzer Medienkritiker, der sich beeilt hinzuzufügen, dass "diese (Produkthaftung, d. Red.) nicht wünschenswert wäre".
Zuletzt bearbeitet 26.01.2002 15:18 Uhr