Die Wikileaks-Dokumente über Afghanistan haben nicht nur den Euphemismus vom sauberen Krieg mitsamt der Kollateralschaden-Rhetorik entlarvt und ein schweres Sicherheits-Leck im US-amerikanischen Militärapparat geschlagen. Sie haben vor allem in den USA auch eine journalistische Debatte über den Umgang mit geheimen Dokumenten von Whistleblowern ausgelöst - samt einer Art Neiddebatte darüber, wem der publizistische Ruhm gebührt.
Vor einer Woche erschienen exklusive Enthüllungen aus den Afghanistan-Materialen, die Wikileaks aus ungenannter Quelle zugespielt wurden, zeitgleich in der New York Times, dem Londoner Guardian und dem Spiegel. Doch die Allianz der "Medienpartner", wie Wikileaks-Gründer Julian Assange stolz bei einer Pressekonferenz sagte, hat binnen weniger Tage schon Risse erhalten.
Nur eine Quelle?
Daran ist Assange wohl nicht ganz unschuldig. In einem Interview mit der TV-/ und Radiosendung Democracy Now kritisierte er, dass die New York Times vor Veröffentlichung das Weiße Haus konsultiert, aber es nicht für nötig gehalten hatte, einen Link zur Wikileaks-Website zu setzen. Es sei unverständlich, "dass eine Organisation, die sich missbräuchlichen verhalten hat" (gemeint ist die US-Regierung, d. Red.), eher von der Aufklärung dieses Verhaltens erfahren sollte als die Öffentlichkeit und die Opfer, sagte Assange.
Wikileaks sei nur eine Quelle, mehr nicht, konterte Eric Schmitt, der als Times-Reporter maßgeblich an der Auswertung des Materials beteiligt war. Sein Investigativ-Kollege Nick Davies vom Guardian äußerte sich ähnlich, und Times-Chefredakteur Bill Keller antwortete in einer E-Mail: "Assange gab die Informationen an drei Mainstream-Nachrichten-Organisationen heraus, weil wir alles Nötige hatten, um die Daten für Nachrichten und Analysen zu gewinnen, und weil wir ein großes Publikum haben, dass diese Informationen ernst nimmt. Ich denke, das damit ein öffentliches Interesse bedient wurde. Seine Entscheidung, die Daten für jedermann zu veröffentlichen, hatte allerdings mögliche Folgen, die - so glaube ich - jeder, unabhängig davon, wie er den Krieg sieht, sehr bedauern würde.
Dahinter stehen zwei Vorwürfe: Zum einen an der Publikationspraxis von Wikileaks, die - so Keller - "Schaden" anrichten kann, weil das Material unbearbeitet - bei Wikileaks würde man wohl sagen: unzensiert - veröffentlicht wird. So sollen sich die Namen hunderter afghanischer Informanten ungeschützt in den Dokumenten finden. Allerdings hat Wikileaks nach eigenen Angaben von den ursprünglich 91.000 Dokumenten rund 15.000 (noch) nicht publiziert - als "Teil eines von unserer Quelle gewünschten Schadens-Minimierungs-Prozesses".
Der zweite Vorwurf ist weniger altruistisch. Er besagt schlicht, Wikileaks nehme sich zu wichtig. In Wirklichkeit sei Assange auf die publizistische Schlagkraft, das Fact-Checking und das Storytelling der Mainstream-Medien angewiesen.
Die Bürde der Verifizierung
Das kann man so sehen oder auch anders. Der Columbia Journalism Review legt jedenfalls die Interpretation nahe, dass Wikileaks zwar die "Bürde der Verifizierung" an die drei beteiligten Redaktionen ausgegliedert habe. In diesem Vorgehen bestehe aber eine "gewisse Brillianz". Denn gleichzeitig habe Assange die "ultimative Kontrolle" über das Material behalten (Journalismus-Professor Jay Rosen) und sei jederzeit in der Lage gewesen, Fehler in der Berichterstattung derer zu bemängeln, auf deren Glaubwürdigkeit er andererseits angewiesen war.
Klassischer Journalismus hier, Hacker-Informationsethik da: Gut möglich, dass Wikileaks am Ende mehr profitiert hat von diesem höchst ungewöhnlichen Joint Venture aus zwei sehr unterschiedlichen medialen Kulturen.