Vor vier Jahren galt die britische Tageszeitung Independent noch als Branchen-Innovator: Das liberale Blatt hatte im September 2003 - zunächst nur für einen Teil der Auflage - auf Tabloid-Format umgestellt und damit seine Auflage in einem halben Jahr um 15 Prozent auf 250.000 gesteigert. Fortan galt der Independent als leuchtendes Beispiel für eine moderne Tageszeitung.
Die jüngsten Branchen-Nachrichten, die das erst 1986 gegründete Blatt schrieb, haben einen ganz anderen Beispielcharakter. Sie sprechen für den Absturz einer Branche, die zwischen Leserschwund und Wirtschaftskrise auf Rette-sich-wer-kann-Kurs navigiert. Zuerst kündigte der Verlag Independent News & Media die Streichung von 90 seiner 430 Stellen in London an, davon wohl 60 Arbeitsplätze in der Reaktion. Der Journalistengewerkschaft NUJ zufolge werden künftig drei Viertel der Redaktion die volle Arbeit leisten müssen.
Umzug zur Konkurrenz
Ende November kam dann noch eine zweite Nachricht: Der Independent wird sein Quartier in den Docklands aufgeben und Untermieter der Boulevard-Zeitung Daily Mail werden. Schon Ende Januar ist der Umzug geplant. Beide Verlage erhoffen sich davon weitere Einsparungen. Selbst die Fotokopierer sollen geteilt werden.
Diese buchhalterische Erbsenzählerei schweißt offenbar so stark zusammen, dass man sich beim Independent sogar mit einem Erzrivalen einlässt: In Irland, woher die Verlegerfamilie O'Reilly stammt, liefern sich beide Verlage nämlich bei Gratis- und Kaufzeitungen einen erbitterten Konkurrenzkampf.
Bedrohte Unabhängigkeit
"Zeitungsleser kümmern sich vielleicht nicht darum, wo ein Blatt sitzt, aber sie dürften anders denken über eine Zeitung, die öffentlich immer ihre eigene Unabhängigkeit hervorgehoben hat", kommentierte der Guardian den Umzug. Klar ist: Eine Qualitäts-Zeitung, die an allen Ecken und Enden spart, aber ihren Copy-Preis gerade erst auf ein Pfund erhöht hat, wird es auf dem umkämpften britischen Zeitungsmarkt noch schwerer haben.
Zwölf Millionen Pfund Minus schreibt der Independent pro Jahr. Die Auflage ist inzwischen wieder auf 200.000 gesunken. Aber es werden Stellen gestrichen. Und Fotokopierer geteilt. Vielleicht wird bald die ganze Zeitung ausverkauft, wenn sich ein Käufer findet.