Es ist wie die Reise nach Jerusalem: Immer, wenn die Netzeitung ihrem jeweiligen Besitzer nicht mehr ins Konzept passte, stand irgendwo noch ein freier Stuhl, auf dem die im Zeitalter von Blogs und Mitmach-Publiziererei etwas altmodisch wirkende Online-Tageszeitung wieder Platz nehmen durfte - bis zur nächsten Runde des lustigen Stühlerückens. Jetzt ist es wieder so weit: Vorbehaltlich der kartellrechtlichen Zustimmung wandert die im Jahr 2000 als Spin-off der norwegischen Nettavisen gegründete Netzeitung an die Deutsche Zeitungs-Holding des Briten David Montgomery.
Vor zwei Jahren hatte sich bei der Berliner Zeitung gegen den Einstieg des Finanzinvestors und seiner Firma Mecom noch heftiger Widerstand gebildet. Inzwischen verteidigt sogar Martin Dieckmann von der Gewerkschaft Ver.di Montgomery als "klassisch-strategischen Investor". Nicht mehr ausländische "Heuschrecken", sondern tarifflüchtige deutsche Verleger wie der Dortmunder Lensing-Wolff sind die Buhmänner von heute.
Wenn Montgomery wirklich investiert, könnten von der Übernahme beide Seiten profitieren: der nicht mehr zeitgemäße Internet-Auftritt Berlin Online ebenso wie die redaktionell arg ausgedünnte Netzeitung, die endlich einen richtigen Verlag im Rücken hätte und der es trotz eines rührigen Feuilletons nach dem Ausstieg von Mitgründer Michael Maier an publizistischen Visionen fehlte. Jetzt ist plötzlich von einer gedruckten Gratiszeitung die Rede.
Keine Überraschung
Überraschend kommt die Übernahme jedenfalls nicht. Der Vorbesitzer, der norwegische Mischkonzern Orkla, hatte bereits im vergangenen Jahr den größten Teil seiner Medienbeteiligungen an Mecom veräußert. Zum Netzeitungs-Paket gehören noch die Online-Dienste Netdoktor.de, Golem.de und Autogazette.de sowie eine Beteiligung am Berliner Radiosender 100,6 Motor FM. Letztere soll dem Verlag zufolge an den bisherigen Kompagnon Tim Renner und seine Firma weiter veräußert werden, die Kooperation zwischen Netzeitung und Sender jedoch erhalten bleiben.