Als die VG Wort vor zwei Jahren nach einem langen Rechtsstreit mit der Computer-Industrie rückwirkend Tantiemen für digitale Kopien am PC ausschüttete, ging ein warmer Geld-Regen auf die dankbare Legion der freien Journalisten, Autoren und Wortkünstler hernieder. Doch nun zeigt ein ganz anderer Rechtsstreit, dass die Verwertungsgesellschaft, die Urheber an Reprographie-Erlösen aus Copyshops oder Bibliotheken beteiligt, ihre "wahrnehmungsberechtigten" Autoren in Wirklichkeit benachteiligt - und zwar zu Gunsten der Verleger.
Die VG Wort schüttet nämlich nur 70 Prozent ihrer Einnahmen an die Autoren aus. 30 Prozent gehen an deren Verleger. Im Bereich Wissenschaft ist das Verhältnis sogar 50:50. Das Landgericht München I hat nun in einem Teil-Urteil festgestellt, dass die Beteiligung der Verwerter rechtswidrig war (Aktenzeichen 7 O 28640/11). Die VG Wort hat gegen den Spruch, der auch die Gema und die VG Bild-Kunst betreffen dürfte, bereits Berufung angekündigt.
Münchner Musterklage
Dahinter steht eine Klage des Urheberrechtlers Martin Vogel, die sich auf zehn von ihm selbst bei der VG Wort gemeldete Artikel seit 2008 bezieht. Das Münchner Gericht entschied: Da es kein Leistungsschutzrecht für Verlage gebe, könnten diese "allenfalls vom Urheber abgeleitete Rechte" bei der VG Wort geltend machen. Doch Vogel hatte - wie wohl die meisten Autoren - die Rechte bereits per Wahrnehmungsvertrag an die Verwertungsgesellschaft abgetreten. Es gab nichts mehr abzuleiten.
Auch die Argumentation der VG Wort, dass die "historisch gewachsene" Beteiligung der Verleger in Form von Verteilungsplänen durch die Mitgliederversammlung abgesegnet ist, wollte das Gericht nicht gelten lassen. "Der Kläger als einzelner Autor hat faktisch keine andere Möglichkeit, als die Verteilungspläne der Beklagten zu akzeptieren", wenn er Anteil an den Ausschüttungen haben wolle. Es liege ein "taktisches Monopol" vor; aus der Mitgliedschaft eines Autors bei der VG Wort lasse sich "kein konkludenter Rechtsverzicht" herleiten. Die Beteiligung nicht berechtigter Verleger widerspreche auch dem "Willkürverbot" im Urheberrecht.
Es war einmal im Jahre 2002
Vogels Klage ist auch deshalb bemerkenswert, weil er einer der Mitautoren des 2002 von der rot-grünen Bundesregierung novellierten Urheberrechts war. Dieses Gesetz "zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern" sollte Urhebern nach dem Willen der damaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin nicht nur ein Recht auf "angemessene" Honorierung sichern; sie sollten auch 100-prozentig in den Genuss der Ausschüttungen der VG Wort kommen. Allein: Weder das eine noch das andere wurde praktisch wirksam.
Weil das Gesetz auf Druck der Verlage abgeschwächt wurde, sind die Honorarbedingungen, auf die sich Journalisten-Verbände und Zeitungsverleger nach langen Jahren zäher Verhandlungen endlich 2010 einigten, bis heute nicht auf den Konten freier Autoren angekommen. Und wegen des Vetos der Verleger innerhalb der VG Wort geriet auch die Umverteilung der Kopier-Erlöse ins Stocken - so lange, bis sie im Jahre 2007 bei der schwarz-roten Bundesregierung endlich eine Abschwächung des Paragrafen 63a zu ihren Gunsten durchgesetzt hatten. Das Tauziehen hinter den Kulissen dokumentieren ein Dossier bei iRights.info und ein schon 2008 verfasster Artikel Vogels beim Perlentaucher.
Leistungsschutzrecht und Reprographieabgabe
Führt man sich in diesem Kontext den aktuellen Streit zwischen "Netzgemeinde" und Autoren um eine Aktualisierung und Reduzierung des Urheberrrechts vor Augen; denkt man dabei auch noch an die andauernde Lobbyarbeit der Verlage, endlich ein Leistungsschutzrecht einzuführen - dann kann einem braven Autoren schon einmal schummrig vor Augen werden. Schon 2003 argumentierte ja der Karlsruher Rechts-Professor Thomas Dreier in einem Gutachten für die VG Wort, die Verlage seien mangels Leistungsschutzrecht gegenüber anderen Produzenten benachteiligt, was möglicherweise sogar gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes verstoße. Der Gesetzgeber könne nicht gewollt haben, dass sie gänzlich von der Reprographieabgabe ausgeschlossen würden.
In Wahrheit war und ist es wohl eher so, dass die Urheber sich in allen vertraglichen Fragen gegenüber den Verlegern in der schlechteren Verhandlungsposition befinden. So zeugt auch das Landgerichts-Urteil von einer völlig anderen Rechtsauffassung. Es werde nun Zeit, "dass die Urheber ihre Rechte selber in die Hand nehmen und das Handeln der Funktionäre ihrer Gewerkschaften und Verbände kritischer kontrollieren, fordert Kläger Vogel in der Süddeutschen Zeitung. Auch sei es "beschämend, wie der ver.di und der Deutsche Journalistenverband (DJV) diese gesetzwidrige Politik der VG Wort zum Nachteil nicht nur ihrer Mitglieder unterstützen, der DJV gleichzeitig aber mit populistischer Entrüstung die Einladung zum Neujahrsempfang des Bundespräsidenten wegen dessen Verfehlungen ausschlägt."
Der VG Wort empfahl Vogel, "in dieser Situation zumindest die strittigen Beträge zurückstellen, schon um auf den Haftungsfall vorbereitet zu sein." Die Verwertungsgesellschaft ließ unterdessen in einer kurzen Pressemitteilung wissen, das Urteil sei nicht rechtskräftig und betreffe lediglich einen "Einzelfall". Allerdings steht im Urteil - bezogen auf die Abtretung der Rechte an die VG Wort - auch der Satz: "Soweit ersichtlich, handelt es sich dabei um keinen Einzelfall, da zumindest eine Vielzahl von Autoren einen solchen Wahrnehmungsvertrag unterzeichnen, um in den Genuß der Ausschüttungen der Beklagten zu kommen."
Massenhaft auf Autoren-Rechte pochen
Doch Vogel, der sich seit Jahren für die Stärkung der Urheber einsetzt, kritisiert nicht nur Verbände und Institutionen ("Welche Vorstellungen von einem Rechtsstaat herrschen eigentlich bei den zuständigen Ministerien und Behörden, wenn vom Parlament beschlossene Gesetze systematisch missachtet werden und die Exekutive dabei zuschaut?"), sondern auch die Urheber selbst. Die sollten sich "nicht nur auf die wohlfeilen Aufrufe einiger gut verdienender Tatort-Autoren wegen der Bedrohung des Urheberrechts durch die Piraten verlassen", sondern "massenhaft" auf Wahrung ihrer Rechte pochen.
Das sind starke Worte. Doch die Urheber können sich nicht nur auf ein erstinstanzliches Urteil aus München stützen. Auch der Europäische Gerichtshof hat im Februar im Rechtstreit eines österreichischen Filmemachers gegen seinen Produzenten festgestellt, der Urheber - und nur der Urheber - habe "unmittelbar und originär" Anspruch auf einen gerechten Ausgleich für Privatkopien. Höchstrichterlich bedeutet das: Es gibt keinen Grund zu teilen.