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Tagging für den Leser-Investor: Das neue Handelsblatt.com

Langer Striemel: Die neue Website von Handelsblatt.com
Screenshot: Netzpresse
Langer Striemel: Die neue Website von Handelsblatt.com
Screenshot: Netzpresse
Das Handelsblatt hat seinen Web-Auftritt relauncht. Die Aufmachung gleicht zwar der Printausgabe, und das Zwei-Spalten-Layout samt Quer-Navigation fällt branchenüblich aus, doch der Eindruck täuscht: Bei Handelsblatt.com - .com wie Company - handelt es sich nicht um ein gewöhnliches News-Portal.

Denn die neue Website, mit der auch ein neuer Chefredakteur - Sven Scheffler, 37, bisher für die Beilagen "Junge Karriere" und "perspektiven" verantwortlich - antritt, wirkt eher wie ein Börsen-Tool denn wie ein journalistisches Produkt. Die umfangreichen Inhalte ordnen sich in Anordnung und Aufbereitung dem Nutzwert von Finanzinformationen unter. Kein Zweifel: Handelsblatt.com begreift den Leser als Investor.

Horst Köhler und andere Chemikalien
Was will der Leser-Investor? Überblick. Zu jedem Artikel schlägt eine Box "verwandte Beiträge" vor, die nach den Oberbegriffen "Organisation", "Person" und "Branche" aufgeteilt sind. Dieses Tagging klappt bei Unternehmensnachrichten ganz gut, im Politik-Ressort weniger. Dort wird ein Artikel über den Ratifizierungs-Stopp des EU-Reformvertrages durch Bundespräsident Horst Köhler mit "Chemikalien & verwandte Produkte" assoziiert. Die Polit-Branche als Giftküche der Nation - auch nicht schlecht. Trotzdem: Alles, was sich nicht mit einem Aktienkurs verbinden lässt, kommt schlechter weg auf dieser Website.

Auch bei der Suchfunktion geht es um Überblick. Sie liefert Treffer entweder nach Gattungen (Artikel, Kurse, Multimedia, Meinung) separiert oder in einem "Such-Cockpit": Aus dem Kontext heraus macht die Suchmaschine Vorschläge zur Eingrenzung der Trefferliste nach Personen, Organisationen, Branchen und Themen.

Multimedia erschöpft sich in erster Linie in Audio-Beiträgen. In Sachen Video hat Handelsblatt.com bislang vor allem Reuters-Einheitsware zu bieten. Die Bloggerei, mit der sich die Handelsblatt-Website durchaus Internet-Credibility erworben hat, geht zwischen all den Tool-Boxen und Cockpits etwas unter. Wer ganz nach unten scrollt, findet auch noch eine Tag-Cloud, in der - oh Wunder! - gerade das Schlüsselwort "Geld und Börse" ganz groß herauskommt. Wer hätte das gedacht?

Zu viele Fronten
Am liebsten sähe man bei der Economy.one GmbH, der für die Online-Auftritte der Wirtschaftstitel zuständigen Holtzbrinck-Firma, dass der Leser-Investor sich auf der Website gleich noch mit seinem Börsen-Portfolio registriert. Damit führt man aber einen Krieg an mehreren Fronten: Nicht nur gegen den natürlichen Print-Konkurrenten Financial Times Deutschland, dessen Website das Handelsblatt fürs Erste technologisch abgehängt hat, sondern auch gegen Finanz-Communities und Online-Banken mit ihren Börsen-Charts, Watchlists und anderen Finanzmarkt-Services.

Das sind selbst für eine respektable Wirtschaftszeitung ziemlich viele Gegner. Wie sagt man in der Wirtschaft? Handelsblatt.com sollte sich stärker aufs Kerngeschäft besinnen. Auf dieser hoch entwickelten Website braucht das Finanzblatt seine Inhalte jedenfalls nicht zu verstecken.
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