Zahnlos: Was vom Urhebervertragsrecht übrig geblieben ist
"Durch den Verlagsvertrag über ein Werk der Literatur oder der Tonkunst wird der Verfasser verpflichtet, dem Verleger das Werk zur Vervielfältigung und Verbreitung für eigene Rechnung zu überlassen. Der Verleger ist verpflichtet, das Werk zu vervielfältigen und zu verbreiten." So steht es in Paragraf 1 des deutschen Verlagsrechts, das am 19. Juni 1901 in Kraft trat und zwei Weltkriege und eine Diktatur ohne bemerkenswerte Modifikationen überstanden hat.
Das einzige Gesetz, das über ein Jahrhundert hinweg das Vertragsverhältnis zwischen Urhebern und Verwertern regelte, stammt also aus Kaisers Zeiten, betrifft nur einen kleinen Ausschnitt der heute urheberrechtsrelevanten Verträge und ist zudem, wie die Juristen sagen, "dispositiv" - seine Regelungen dienen nur als Folie und können vertraglich abgeändert werden.
Reformwillige Ministerin
Auftritt Herta Däubler-Gmelin: Die mit dem rotgrünen Regierungswechsel 1998 angetretene Bundesjustizministerin versprach, den gesetzlichen Missstand mit einem neuen Urhebervertragsrecht aufzuheben. Freie Autoren und Künstler sollten, so die Ministerin mit sozialdemokratischer Verve, endlich "auf Augenhöhe" mit ihren Auftraggebern verhandeln können - ähnlich ihren festangestellten, durch Tarifverträge abgesicherten Kollegen. So lagen freie Journalisten im Jahr 1998 einer Erhebung des Deutschen Journalisten-Verbandes zufolge mit durchschnittlich 3.600 Mark Bruttoverdienst pro Monat deutlich unter dem Niveau der angestellten Redakteure.
Als am 5. Mai 2000 fünf vom Ministerium berufene Urheberrechtler den sogenannten Professorenentwurf für das Gesetz vorlegten, jubelten die Berufsverbände, während die Verwerter aufheulten. Doch nicht nur die Unternehmen, die ihrerseits Fachleute für Gegengutachten mobilisierten und eine aufwändige Anzeigenkampagne schalteten, machten samt den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten Front gegen das geplante Gesetz. Auch nicht direkt involvierte Rechtsexperten waren skeptisch.
Eingriff in die Vertragsfreiheit
Kritik entzündete sich vor allem daran, dass der Professorenentwurf Urhebern und Verwertern kollektive Absprachen geradezu aufzwingen wollte; dagegen können aber die rechtlichen Grundsätze der Vertragsfreiheit und Privatautonomie ins Stellung gebracht werden. So kommentierte der Kieler Professor Haimo Schack, der selbst seit langem ein gesetzliche Regelung gefordert hatte, der Entwurf sei "im Reformeifer" über das Ziel hinaus geschossen und unkte gar: "Insgesamt steht zu befürchten, dass der Professorenentwurf den Urhebern und Künstlern eher schadet als nützt."
Am 1. Juli 2002 ist das Gesetz nun in Kraft getreten. Die letztlich verabschiedete Version, ein unter dem Einfluss der Interessengruppen zerzaustes Rudiment des ursprünglichen Entwurfs, erntete ein überraschendes Echo: Während die entrüsteten Verwerter plötzlich gar nicht mehr so unzufrieden waren – der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger sprach sogar von einem "Sieg der Vernunft" –, lieferte die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di als Lobbyistin der Urheber auf der anderen Seite Entrüstungspoesie: die Bundesregierung, hieß es in einer Presseerklärung, sei als Tiger abgesprungen und als Bettvorleger gelandet.
Rasanter Stimmungsumschwung
Woher der rasante Stimmungsumschwung? Urheber, so steht es im Gesetz, können "angemessene Vergütung" verlangen - wieviel genau angemessen ist, beziffert der Gesetzgeber aber nicht. Statt dessen heißt es: Angemessen ist, was "im Zeitpunkt des Vertragsschlusses dem entspricht, was ... üblicher- und redlicherweise zu leisten ist". Nur ist im Leben das Angemessene leider oftmals nicht üblich, und zu bestimmen, was redlich ist, sei "eine schwierige Übung", meint DJV-Justitiar Benno Pöppelmann gegenüber der Netzpresse.
Sein Verband gehört ebenso wie die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) in Ver.di zu jenen Gruppierungen, die nach dem Willen des Gesetzgebers gemeinsame Vergütungsregeln aushandeln sollen. Ende August 2002 legten die beiden Verbände der Verlegerseite ein Angebot vor, das sich auf die Honorarempfehlungen der Mittelstandsgemeinschaft Journalismus stützte. Passiert ist seither nicht viel. Im Gegenteil: Das Klima wird durch die Auseinandersetzungen auf anderen aktuellen Streitfeldern - der Novellierung des Urheberrechtes, aber auch den im Dezember 2002 ergebnislos aufgeschobenen Tarifverhandelungen für Zeitungsredakteure - zusätzlich eingetrübt.
Kein Einigungszwang mehr
Können sich aber beide Seiten nicht einigen, sieht das Gesetz – ähnlich wie bei Tarifkonflikten – ein Schlichtungsverfahren vor. Hier nun wurde, um im Bild zu bleiben, dem "Tiger" der Zahn gezogen: Forderte der Professorenentwurf noch eine gerichtliche Schlichtung mit Einigungszwang, womit Kritiker schon eine Lawine auf Justitia zurollen sahen, so soll jetzt eine von beiden Seiten paritätisch besetzte Schlichtungsstelle mit einem unparteiischen Vorsitzenden vermitteln. Den Schlichtungsvorschlag können beide Seiten binnen drei Monaten annehmen – oder es auch lassen. Dann passiert gar nichts, und das ganze schöne Verfahren verpufft.
So viel lässt sich also jetzt schon sagen: Die Hoffnung der Berufsverbände, über kollektive Vereinbarungen das Honorarniveau der freien Mitarbeiter tarifähnlich anzuheben, kann sich ohne Goodwill der wirtschaftlich zur Zeit von starken Umsatzrückgängen gebeutelten Verleger und Medienhäuser nicht erfüllen.
Per Individualklage doch noch vor Gericht
Der einzige Weg, die Gerichte doch noch zur Feststellung zu zwingen, was denn "angemessen" wäre, führt über Individualklagen einzelner Urheber. Die Chancen, auf diese Weise gleichsam durch die Hintertür doch noch zu Gerichtsurteilen zu kommen, die auch eine allgemeine Verbindlichkeit hätten, hält der DJV-Justitiar Pöppelmann allerdings für gering; solche Verfahren seien eben "nur im Tagesverhältnis" gültig. Zudem haben die Journalisten-Verbände "die Erfahrung gemacht, das Viele nicht bereit sind, individuell zu klagen, weil sie es sich gegenüber ihren Auftraggebern nicht leisten können". Aus genau diesem Dilemma hatte das Urhebervertragsrecht die freien Autoren und Künstler eigentlich befreien wollen.
Das einzige Gesetz, das über ein Jahrhundert hinweg das Vertragsverhältnis zwischen Urhebern und Verwertern regelte, stammt also aus Kaisers Zeiten, betrifft nur einen kleinen Ausschnitt der heute urheberrechtsrelevanten Verträge und ist zudem, wie die Juristen sagen, "dispositiv" - seine Regelungen dienen nur als Folie und können vertraglich abgeändert werden.
Reformwillige Ministerin
Auftritt Herta Däubler-Gmelin: Die mit dem rotgrünen Regierungswechsel 1998 angetretene Bundesjustizministerin versprach, den gesetzlichen Missstand mit einem neuen Urhebervertragsrecht aufzuheben. Freie Autoren und Künstler sollten, so die Ministerin mit sozialdemokratischer Verve, endlich "auf Augenhöhe" mit ihren Auftraggebern verhandeln können - ähnlich ihren festangestellten, durch Tarifverträge abgesicherten Kollegen. So lagen freie Journalisten im Jahr 1998 einer Erhebung des Deutschen Journalisten-Verbandes zufolge mit durchschnittlich 3.600 Mark Bruttoverdienst pro Monat deutlich unter dem Niveau der angestellten Redakteure.
Als am 5. Mai 2000 fünf vom Ministerium berufene Urheberrechtler den sogenannten Professorenentwurf für das Gesetz vorlegten, jubelten die Berufsverbände, während die Verwerter aufheulten. Doch nicht nur die Unternehmen, die ihrerseits Fachleute für Gegengutachten mobilisierten und eine aufwändige Anzeigenkampagne schalteten, machten samt den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten Front gegen das geplante Gesetz. Auch nicht direkt involvierte Rechtsexperten waren skeptisch.
Eingriff in die Vertragsfreiheit
Kritik entzündete sich vor allem daran, dass der Professorenentwurf Urhebern und Verwertern kollektive Absprachen geradezu aufzwingen wollte; dagegen können aber die rechtlichen Grundsätze der Vertragsfreiheit und Privatautonomie ins Stellung gebracht werden. So kommentierte der Kieler Professor Haimo Schack, der selbst seit langem ein gesetzliche Regelung gefordert hatte, der Entwurf sei "im Reformeifer" über das Ziel hinaus geschossen und unkte gar: "Insgesamt steht zu befürchten, dass der Professorenentwurf den Urhebern und Künstlern eher schadet als nützt."
Am 1. Juli 2002 ist das Gesetz nun in Kraft getreten. Die letztlich verabschiedete Version, ein unter dem Einfluss der Interessengruppen zerzaustes Rudiment des ursprünglichen Entwurfs, erntete ein überraschendes Echo: Während die entrüsteten Verwerter plötzlich gar nicht mehr so unzufrieden waren – der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger sprach sogar von einem "Sieg der Vernunft" –, lieferte die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di als Lobbyistin der Urheber auf der anderen Seite Entrüstungspoesie: die Bundesregierung, hieß es in einer Presseerklärung, sei als Tiger abgesprungen und als Bettvorleger gelandet.
Rasanter Stimmungsumschwung
Woher der rasante Stimmungsumschwung? Urheber, so steht es im Gesetz, können "angemessene Vergütung" verlangen - wieviel genau angemessen ist, beziffert der Gesetzgeber aber nicht. Statt dessen heißt es: Angemessen ist, was "im Zeitpunkt des Vertragsschlusses dem entspricht, was ... üblicher- und redlicherweise zu leisten ist". Nur ist im Leben das Angemessene leider oftmals nicht üblich, und zu bestimmen, was redlich ist, sei "eine schwierige Übung", meint DJV-Justitiar Benno Pöppelmann gegenüber der Netzpresse.
Sein Verband gehört ebenso wie die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) in Ver.di zu jenen Gruppierungen, die nach dem Willen des Gesetzgebers gemeinsame Vergütungsregeln aushandeln sollen. Ende August 2002 legten die beiden Verbände der Verlegerseite ein Angebot vor, das sich auf die Honorarempfehlungen der Mittelstandsgemeinschaft Journalismus stützte. Passiert ist seither nicht viel. Im Gegenteil: Das Klima wird durch die Auseinandersetzungen auf anderen aktuellen Streitfeldern - der Novellierung des Urheberrechtes, aber auch den im Dezember 2002 ergebnislos aufgeschobenen Tarifverhandelungen für Zeitungsredakteure - zusätzlich eingetrübt.
Kein Einigungszwang mehr
Können sich aber beide Seiten nicht einigen, sieht das Gesetz – ähnlich wie bei Tarifkonflikten – ein Schlichtungsverfahren vor. Hier nun wurde, um im Bild zu bleiben, dem "Tiger" der Zahn gezogen: Forderte der Professorenentwurf noch eine gerichtliche Schlichtung mit Einigungszwang, womit Kritiker schon eine Lawine auf Justitia zurollen sahen, so soll jetzt eine von beiden Seiten paritätisch besetzte Schlichtungsstelle mit einem unparteiischen Vorsitzenden vermitteln. Den Schlichtungsvorschlag können beide Seiten binnen drei Monaten annehmen – oder es auch lassen. Dann passiert gar nichts, und das ganze schöne Verfahren verpufft.
So viel lässt sich also jetzt schon sagen: Die Hoffnung der Berufsverbände, über kollektive Vereinbarungen das Honorarniveau der freien Mitarbeiter tarifähnlich anzuheben, kann sich ohne Goodwill der wirtschaftlich zur Zeit von starken Umsatzrückgängen gebeutelten Verleger und Medienhäuser nicht erfüllen.
Per Individualklage doch noch vor Gericht
Der einzige Weg, die Gerichte doch noch zur Feststellung zu zwingen, was denn "angemessen" wäre, führt über Individualklagen einzelner Urheber. Die Chancen, auf diese Weise gleichsam durch die Hintertür doch noch zu Gerichtsurteilen zu kommen, die auch eine allgemeine Verbindlichkeit hätten, hält der DJV-Justitiar Pöppelmann allerdings für gering; solche Verfahren seien eben "nur im Tagesverhältnis" gültig. Zudem haben die Journalisten-Verbände "die Erfahrung gemacht, das Viele nicht bereit sind, individuell zu klagen, weil sie es sich gegenüber ihren Auftraggebern nicht leisten können". Aus genau diesem Dilemma hatte das Urhebervertragsrecht die freien Autoren und Künstler eigentlich befreien wollen.
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Zuletzt bearbeitet 07.01.2003 11:57 Uhr