Neuer Chefredakteur entfacht Aufstand bei "Berliner Zeitung"
Am Tag nach der Berufung von Josef Depenbrock zum Chefredakteur sah die Berliner Zeitung aus wie eine Notausgabe im Streik: Das Blatt erschien lediglich mit zwölf Seiten, und dies auch nur in Berlin und dem Umland. "Angesichts der Umstände sahen wir uns außer Stande, eine normale Ausgabe zu produzieren", teilte die Redaktion "in eigener Sache" mit. "Wir waren gezwungen, uns mit der Lage unserer Zeitung auseinander zu setzen, statt mit Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Wissenschaft, Medien, Vermischtem und lokalen Ereignissen."
Redaktion sieht "Vertrauensbruch"
Tatsächlich ist bei der Berliner Abo-Zeitung kein Streik, sondern ein regelrechter Machtkampf zwischen Redaktion und Geschäftsführung offen ausgebrochen. Die Journalisten hatten in den vergangenen Monaten versucht, ein Redaktionsstatut zu installieren; es sollte dem publizistischen Personal unter anderem ein Mitspracherecht bei der Berufung des Chefredakteurs einräumen.
Irgendwo zwischen den Fronten steht der 44-jährige Depenbrock, dessen Ernennung die Redaktion nun als "Vertrauensbruch" und "Affront" wertet. Mitten in die Verhandlungen um ein Redaktionsstatut habe Verlags-Geschäftsführer Peter Skulimma die Redaktion mit Depenbrocks Berufung "vor vollendete Tatsachen gestellt".
Depenbrocks Doppelrolle
Gegen die Personalie spricht in den Augen der Journalisten, dass Depenbrock auch noch der Geschäftsführung der neuen Muttergesellschaft BV Deutsche Zeitungsholding angehört. Die Redaktion werde "mit ihrer ganzen Kraft dafür kämpfen, dass diese Verquickung zwischen redaktionellen und wirtschaftlichen Interessen" nicht zum Verlust journalistischer Qualität und Unabhängigkeit führe, heißt es.
Depenbrock bemühte sich in einem eigenen Artikel, die Bedenken zu zerstreuen. Die Berliner Zeitung werde auch weiterhin "die führende Qualitätszeitung der Hauptstadt, eine Zeitung in der ersten Liga der großen deutschen Blätter" bleiben, verspricht er dort. Und: "Meinungsvielfalt bedeutet auch, dass die Redaktion ihre Sicht der Dinge darstellen darf, auch wenn dies mit Kritik und Skepsis gegenüber Verlagsleitung und neuer Chefredaktion verbunden ist."
Sein Sitz in der Geschäftsführung - "quasi im 'gegnerischen' Lager der Kaufleute" - diene "dem Ziel, dass journalistische Gesichtspunkte bei allen wesentlichen Entscheidungen des Unternehmens deutlich berücksichtigt werden, dass Themen wie journalistische Qualität und Initiative die zentralen Ideen sind und bleiben", beteuerte Depenbrock zudem.
Cash, please
Schöne Worte, an die der neue Chefredakteur vielleicht bald nicht mehr erinnert werden möchte. Denn nach den bislang bekannt gewordenen Vorstellungen der neuen Eigentümer rund um den Briten David Montgomery soll die Umsatzrendite der Berliner Zeitung im Jahr 2007 auf über 20 Prozent gepusht werden. Das - so die Befürchtung der Redaktion - sei aber nur über Stellenabbau und Qualitätseinbußen zu realisieren.
Hier kommt Depenbrock ins Spiel, der zuvor schon in seiner Doppelrolle als Chefredakteur und Geschäftsführer bei der Hamburger Morgenpost als Einparer wirkte. Passenderweise war der 44-Jährige auch schon mal Chefredakteur eines Anlegermagazins. "Cash" hieß es, und genau das erwarten die neuen Eigentümer der Berliner Zeitung.
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Zuletzt bearbeitet 30.05.2006 12:15 Uhr