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Paid Content bei der New York Times oder: der Abfall vom Glauben

Die New York Times hat nach fast einjähriger Denkpause angekündigt, ihre Inhalte kostenpflichtig zu machen - aber erst nach einer weiteren fast einjährigen Denkpause ab Januar 2011. So zögerlich das Vorgehen, so vorsichtig die Strategie: Eine undurchdringliche Bezahlmauer will die "gray lady" nämlich nicht aufbauen.

Gelegenheits-Besucher dürfen weiter kostenlos einzelne Artikel abrufen. Erst für die häufigere Nutzung soll eine bislang unbestimmte feste Monatsgebühr anfallen. Wieviele Artikel pro Monat frei abrufbar sein werden, steht auch noch nicht fest. Sicher ist nur: Abonnenten der Zeitung behalten ihren Zugriff - selbst wenn sie nur die Sonntags-Ausgabe abonnieren.

Flatrate ohne Abschreckung
Das Modell ist nicht neu. Es geht darum, eine Flatrate zu etablieren, ohne von Suchmaschinen kommende Besucher gleich abzuschrecken. Es ist ein sanfterer Versuch als die Drohgebärde, die Paid-Content-Ankündigungs-Weltmeister Rupert Murdoch aufführt, wenn er Google und Co. von seinen News-Websites auszusperren verspricht.

Die Times-Strategie passt hingegen zu Googles eigenem First Click Free-System, das den Verlagen zuarbeitet, indem nur eine limitierte Anzahl von Klicks zum kostenfreien Artikel führt. Die britische Financial Times, die 2007 ihren eigenen Zugriffszähler einführte und damit als Vorbild für die New York Times gilt, bringt es bei weniger als halb so hohen Besucherzahlen auf 121.200 Online-Abonnenten, wie Geschäftsführer Rob Grimshaw just der Branchen-Zeitschrift Advertising Age verriet. Nach zehn Clicks wird man auf ft.com zum Kauf animiert.

Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass sich die Times am Paid Content versucht. 2005 begann man damit, für Inhalte jenseits der News - etwa die beliebten Meinungsartikel der Kolumnisten - Geld zu verlangen. 2007 wurde "Times Select" trotz 227.000 Abonnenten wieder fallen gelassen - unter anderem, weil wichtige Autoren sich über Reichweiten-Verluste beklagten. Freilich herrschte 2007 ein besseres Werbe-Klima: die Zeichen standen auf Aufschwung.

Mit der Ankündigung, es in der Krise erneut und auf andere Weise zu versuchen, beginnt laut Verleger Arthur Sulzberger ein "Denkprozess". “Wir können das nicht nur halb oder dreiviertel richtig machen. Wir müssen es ganz und gar richtig machen", sagte er in seiner eigenen Zeitung.

Alte und neue Ökonomie
Was richtig und falsch ist, darüber wird im Internet allerdings schon länger inbrünstig gestritten. Der Journalistik-Professor und erklärte Bezahl-Gegner Jeff Jarvis verriss prompt in seinem Blog die schiefe Ökonomie des metering reading.

Jarvis ist einer der Vordenker der Idee, Journalisten zu Unternehmern zu machen (entrepreneurial journalism), weil das alte, ums Überleben kämpfende Verlagssystem aufgebläht und überholt sei. So aktuell das Nachdenken über neue Geschäftsmodelle auch erscheint: Von einem Zeitungsverlag zu verlangen, sich selbst für überflüssig zu erklären, ist etwa so aussichtsreich wie die Forderung, die Katholische Kirche aufzulösen, weil es keinen Gott gibt.

A propos Glaube: Bislang ist die Behauptung, dass journalistische Inhalte im Internet keine zahlungswilligen Leser finden werden, nur auf Vermutungen, Umfragen, mehr oder weniger gut begründete Rechthaberei und auf frühere, halbherzige Versuche gestützt. Mit der New York Times wagt sich nun ein Zeitung vor, die nicht nur über eine unvergleichlich starke Print-Marke verfügt, sondern sich auch eine aufwändige und eigenständige Website leistet.

Mit rund 20 Millionen Besuchern monatlich, zuletzt 16 Millionen (Quelle: monatliche Daten Nielsen Online/Editor & Publisher) ist die Times weltweit die Nummer eins unter den Verlags-Angeboten im Internet. Wenn sie es nicht schafft, dann ist es wirklich an der Zeit, vom Glauben an eine Übertragung des alten Verlags-Geschäftsmodells auf das Internet abzufallen.
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