Sie befinden sich hier:

Journalismus und Ge-hack-tes: Die New York Times versucht den Paywall-Spagat

Dankeschön, aber nach 20 Artikelabrufen im Monat ist Schluss (Screenshot)
Zoom
 + 
Dankeschön, aber nach 20 Artikelabrufen im Monat ist Schluss (Screenshot)
14 Monate hat die New York Times gebraucht, um mit ihrer Ankündigung Ernst zu machen. Seit heute, 14 Uhr Ostküsten-Zeit, aber zumindest von Deutschland aus mit mehrstündiger Verspätung, ist die zum State of the Art zählende Zeitungs-Website von einer Bezahlmauer umstellt. Ein Bollwerk wie bei Rupert Murdochs Londoner Times ist es aber nicht geworden. Die Online-Ausgabe des Print-Schwergewichts bleibt ebenso für Google & Co. wie für Links aus sozialen Netzwerken erreichbar. Gelegenheits-Nutzer soll die Paywall nicht verschrecken: Pro Monat sind 20 Artikel-Abrufe frei.

"Egal, ich werde sie hassen"
Trotzdem erntete die Times von Internet-Kommentatoren reichlich Zorn und Häme. Der kanadische Autor und Blogger Cory Doctorow erklärte nach einem länglichen Rant über die seiner Ansicht nach undurchsichtigen Abschottungs-Maßnahmen: "Ja, ich werde diese Paywall hassen, egal was die NYT macht." Doctorow und andere meinungsfreudige Internet-Alphabetisierer glauben, Nachrichten seien heutzutage nur noch eine "Commodity". Wer dafür Geld verlange und den Zugriff limitiere, behindere das auf Links beruhende Ökosystem des Internets.

Die Times versucht aber einen Spagat: Einerseits soll die Website nach außen hin weiter offen und verlinkbar sein, andererseits will man regelmäßige Nutzer zu zahlenden Kunden machen.

Millionen-Operation Paywall
40 bis 50 Millionen Dollar hat die Operation Paywall laut dem Wirtschaftsdient Bloomberg gekostet. Die kanadischen Internet-Nutzer kamen schon eine Woche vor den USA und dem Rest der Welt in ihren "Genuss". So muss es nicht verwundern, dass die Paywall vor ihrem offiziellen Lauch über Twitter bereits als, ähem, "gehackt" vermeldet wurde.

Gehackt? Das klingt aufregender, als es in Wirklichkeit ist. Tatsächlich beruht die Zählung der Artikel-Zugriffe darauf, dass im Browser des Nutzers sogenannte Cookies gespeichert werden. Man kann also Times-Cookies löschen, um wieder bei Null anzufangen (verbieten lassen sie sich nicht, da man sonst zum Login aufgefordert wird).

Wer aus Sicherheitsgründen JavaScript deaktiviert hat, kommt auch um die Paywall herum. Denn ohne die Scriptsprache, die im Browser des Anwenders läuft, funktioniert der Zauber mit der Zahlungsaufforderung nach 20 Artikelabrufen nicht mehr. Sie lässt sich auch direkt aus dem Dokumenten-Baum vertreiben. Etwa mit Hilfe der Firefox-Extension Firebug kann man herausfinden, dass es nur die beiden Container mit den IDs overlay und gatewayUnit zu löschen gilt. Damit sich der Text wieder scrollen lässt, muss außerdem noch die Eigenschaft overflow:hidden für den body-Tag gelöscht werden.

Klingt arg geekig? Wenn man sich die Leidenschaft anschaut, mit der überall nach Umgehungen der Paywall gefahndet wird, dann drängt sich der Verdacht auf: Die Nachrichten der Zukunft werden keine Commodity mehr sein, sondern Ge-hacḱ-tes. Wie viel darf's denn sein?

15 bis 35 Dollar
Vielleicht gibt es da draußen aber doch noch ein paar Leute, die sich nicht mit Cookies und Javascript herumschlagen wollen. Die bereit sind, für Zeitungstexte, Kommentare und dezidierte Online-Inhalte, wie sie die New York Times immer schon angeboten hat, etwas zu bezahlen. Huch! Jetzt ist es raus, das böse Wort.

Mit monatlich 15 Dollar für den Zugriff auf Website und Smartphone-App, 20 Dollar (Website und Tablet-App) oder 35 Dollar (alle digitalen Zugriffswege) hat Verleger Arthur Sulzberger jr. allerdings nicht gerade Dumping-Preise ausgeschildert. In einem Brief an die Leser schreibt der Zeitungs-Erbe: "Dies ist ein wichtiger Schritt und wir hoffen, dass Sie darin eine Investition in die Times sehen". Zum Start gibt's wenigstens den ersten Monat für 99 Cent - so billig ist nicht einmal das Gehackte im Supermarkt-Regal.

Ein Prozent Konversions-Rate?
Ob die Investition Früchte tragen wird oder nicht vielmehr die Nutzer vergrault, kann niemand seriös vorhersagen. Der "Newsonom" Ken Doctor hat ausgerechnet, dass die Times ein Prozent ihrer 32 Millionen Online-Besucher - die eine Million Print-Abonnenten, für die der Online-Zugriff frei ist, nicht eingerechnet - allein aus den USA als Kunden gewinnen müsste, um damit den Vertriebserlös (683 Millionen Dollar, Print 2010) um elf Prozent zu steigern. Womöglich sind es ja wirklich die Smartphone- und die Tablet-Nutzer, die wieder dafür zu begeistern sind, für Journalismus Geld auszugeben?

Die Financial Times praktiziert dieses Bezahlmodell, für das im angloamerikanischen Raum der Begriff "metered" (gemessen) eingebürgert hat, schon seit 2002. Es gilt als Erfolg. Allerdings hat das rosa Wirtschafts-Blatt eine Zielgruppe, die bereit ist, für Finanzinformationen in die Tasche zu greifen. Die New York Times dagegen ist Generalist - und hat schon einen Reinfall mit Paid Content hinter sich: Den Fehler des 2007 stillschweigend zu Grabe getragenen Bezahldienstes TimesSelect, alle Kolumnen und Premium-Inhalte hinter einer bedingungslosen Bezahlmauer zu versteckte, will die Grey Lady nicht noch einmal machen.
Sie sind: Gast | Login | Registrieren